Velofahren in Oulu

Oulu ist eine Stadt mit 200′000 Einwohnern im Nordwesten Finnlands, und die nördlichste Grosstadt der EU. Sie liegt nur 170 Kilometer südlich des Polarkreises, was sich nach sehr tiefen Temperaturen anhört. Dies stimmt auch – Temperaturen von Minus 15 Grad sind hier im normal im Winter. Nichtsdestotrotz kommt die Stadt auf einen Anteil des Velos am Modal Split von über 20% – in den Wintermonaten sind es 10% – die Stadt nennt sich deshalb stolz “Captital of Winter Cycling”. Ich bin deshalb nach Oulu gereist, um zu sehen, wieso das Velofahren trotz diesen Temperaturen so beliebt ist, und was die Schweiz daraus lernen kann.

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Ein Grund dafür ist sicher die Topografie: Die Stadt ist grösstenteils flach, was eine wichtige Voraussetzung für das Velo fahren ist. Doch auch auf Helsinki trifft dies zu, und trotzdem hat die Stadt ein doppelt so hoher Veloanteil.

Ein weiterer Grund ist, dass der öV nicht so stark ausgebaut ist wie in Helsinki. Es gibt ein Angebot an Bussen, die Erschliessung mit dem öV gestaltet sich aufgrund der geringen Dichten jedoch schwierig.  Dafür ist das Zentrum sehr kompakt, und die Strassenräume genug Breit. So ist man schnell mit dem Velo im Zentrum und kann dort seine Besorgungen machen, oder geht arbeiten.

Der wichtigste Grund ist allerdings die Philosophie, die gelebt wird – und die ist in Oulu einmalig. Das Velo gehört zu Oulu und umgekehrt. Während in Helsinki viele Strassen über keine Velowege verfügen, und das Velo somit auf der Strasse (ohne Infrastruktur) fahren muss, gibt es in Oulu praktisch überall ein Veloweg. Und falls dieser mal fehlt, und man auf dem Trottoir fährt, ist dies weit akzeptiert. Auch wenn man auf dem Einrichtungs-Veloweg in die falsche Richtung fährt. Dies ist nicht überall in Finnland so.

Es braucht aber viel Zeit und Geduld, um diese Philosophie umzusetzen. Oulu hatte das Glück, einen Stadtplaner zu haben, welcher sich für das Velofahren und auch für die Fussgänger einsetzte. Während andere Städte in Finnland und der ganzen Welt autogerechte Städte planten, dachte er bereits einen Schritt weiter: Er legte den Fokus auf vom MIV abgetrennte Fuss- und Velowege. Diese sind oft direkter als die Strassen, und führen durch schöne Natur, Unterführungen sind durch StreetArt bemalt.

Wer in Oulu aufwächst, ist wächst mit dem Velo auf:
Sobald sie in die Pedale treten können (5-6 Jahre) haben sie Verkehrskunde. In einem Verekehrspark nehmen sich Instruktoren Zeit, ihnen die Regeln des Velofahrens beizubringen. Ab der 2. oder 3. Klasse kommen praktisch alle Kinder mit dem Velo in die Schule. Manchmal ist dies bereits in der 1. Klasse der Fall. Es kommt ganz darauf an, wo die Schule liegt, in der Nähe von Hauptverkehrsachsen ist der Anteil nicht so hoch.
In Finnland gibt es eine Regel: Ist der Schulweg länger als 5 Kilometer, kümmert sich die Stadt um Schulbusse, bzw auf den Land Linienbusse für Kinder. Ansonsten gehen sie zu Fuss oder mit dem Velo.

Die 10% Veloanteile im Winter sind nicht unverdient: Die Stadt ist sehr fortschrittlich in Sachen Schneepflügung. Sie unterteilt das Streckennetz in unterschiedliche Prioritäten, Strecken der höchsten Priorität müssen innerhalb von 3 Stunden nach dem ersten Schneefall geräumt werden. Dies klappt jedoch nicht immer. Insbesondere Brücken sind oft ungenügend oder zu spät gepflügt. Die Stadt nimmt jedoch das Feedback der Bewohner ernst und macht eine Umfrage, wie der Winterdienst verbessert werden kann.

Der Schnee wird nach dem Pflügen wegtransportiert und in der Nähe des Meeres gelagert. Wenn der Schnee schmilzt, wird er auf natürliche Weise gefiltert und gelangt ins Meer. In Helsinki schmelzen sie offenbar den Schnee, um das Wasser wiederzuverwerten, da so grosse Schneelager dort kein Platz haben.

Die Philosophie der Leute Oulus ist: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Mit der entsprechenden Ausrüstung ist es kein Problem, auch im Winter auf dem Velo warm zu haben.
Schwierig wird es erst im Frühling und Herbst, wenn der Schnee am Tag schmilzt und dann in der Nacht gefriert. Gegen das Glatteis verwenden sie Sand und Holzspäne ein. Der Sand wird im Frühling wieder eingesammelt und gewaschen, somit kann er nächstes Jahr wieder verwendet werden. Die Holzspäne hingegen sind organisch und können auf dem Boden belassen werden. Intressanterweise stammen diese Holzspäne nicht aus den finnischen Wäldern, sondern wurde aus Deutschland importiert.
Velostreifen gibt es auch in Oulu, sie werden aber vorallem im Winter wenig benutzt, weil der Schnee an den Randstein gedrückt wird und so eine Art “Wand” entsteht. Somit ist kein Platz mehr für den Velofahrer, und er fährt auf dem Trottoir.

Wie in Helsinki, ist auch in Oulu der Grundbesitzer für den Winterdienst des Veloweges und Trottoirs verantwortlich.

Um Winterreifen kommt man dennoch nicht herum, sie werden vom Velofahrerverein Oulus empfohlen. Der Verein hilft ausserdem bei der Reperatur und Velowartung, man kann sein Velo vorbeibringen und beispielsweise ein Loch im Schlauch zu reparieren, oder die Schaltung anpassen.

Oulu ist auch Geburtsort der Winter Cycling Federation.  Das Ziel ist das Velofahren im Winter zu fördern. Städte wie Linköping, Schweden oder Winnipeg, Kanada konnten so schon einiges von Oulu lernen.

Die Stadt kann sich jedoch noch verbessern, indem es mehr Parkierungsmöglichkeiten für das Velo gibt, speziell im Zentrum. Die Veloständer sind oft in marodem Zustand. Es gibt aber auch einige moderne Veloständer, wo das Velo sehr gut abschliessbar ist. Gedeckte Velostände gibt es aber selten. Es ist geplant, beim Bahnhof ein Mobiulitätshub einzurichten, mit Parkierungsmöglichkeit und Service Station. Dort könnte man, in Zusamenarbeit mit einem privaten Unternehmen, ein Reperatur- und Reinigungsservice anbieten. Es gibt bereits solche öffentlichen Velopumpen und Service Stationen, sie kosten nicht viel aber haben dennoch einen grossen Einfluss. Obwohl das Velo schon über 200 Jahre alt ist, sieht man: Es passiert etwas, rund um das Thema Velo.

In Oulu werden auch Baanas gebaut – breite, sichere Velowege. Sie sind einfacher zu pfaden und die Oberfläche erzeugt weniger Reibungswiederstand als herkömliche Velowege. Der Velofahrer hat auf ihnen Vortritt, somit sind sie eine schnelle und sichere Verbindung.

Wie allgemein in Finnland, gibt es auch in Oulu sehr wenige Velounfälle. Ein Helmobligatorium besteht nicht – es wird aber immer wieder diskutiert. Mehr als 40 Prozent der Finnen brauchen Helme, Kampagnen zielen darauf ab, diesen Anteil weiter zu erhöhen. Eine Helmtragpflicht würde die Attraktivität des Velos gefährden. Ein weiterer Grund für die wenigen Unfälle ist, dass E-Bikes eine Maximalgeschwindigkeit von 25 km/h haben. Diese sind ohnehin nicht weit verbreitet, weil der Staat nur geringe Subventionen anbietet.

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